Gedenken am Volkstrauertag 2019

Bad Sülze, den 17.11.2019

Wie in jedem Jahr wurde den Opfern von Gewaltherrschaft am Volkstrauertag gedacht. Nachfolgend einige Auszüge aus der Rede der Bürgermeisterin Dr. Doris Schmutzer:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Sehr geehrte Frau Pastorin Bockentin,

Sehr geehrter Herr Major Spengler,

Sehr geehrte Abgeordnete des Stadtparlaments,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kälte, Wind, Nebel und Nässe, Bäume und Sträucher ohne Laub;

es ist November – der stille und traurigste Monat des Jahres.

Es ist ein Monat, in dem ein Teil der Natur stirbt und auch wir Menschen nicht umhin kommen, uns unserer eigenen Endlichkeit bewusst zu werden.

 

Was wäre, wenn niemand an die Gedenkfeier am heutigen Morgen erinnert hätte? 

Was wäre, wenn es nicht in unserem Kalender stünde?

Würden dann noch viele an einen Volkstrauertag denken? 

Würden sie überhaupt etwas vermissen, wenn es ein ganz normaler Sonntag wäre?

 

Mit den Jahrzehnten sind die Erinnerungen an die Toten und Opfer mehr und mehr verblasst. Der Volkstrauertag hat in unserer Gesellschaft seine Selbstverständlichkeit verloren. Wir sollten uns nichts vormachen.

Deutschland als Ganzes trauert am heutigen Tag nicht. Für viele Deutsche ist der Volkstrauertag nur einer von vielen offiziellen Gedenktagen. Er ist kein Tag kollektiver Trauer und Nachdenklichkeit mehr.

Brauchen wir diesen Feiertag noch?   -  Und wenn ja, warum?

 

 Ich glaube und bin fest davon überzeugt, dass der Volkstrauertag sehr wichtig für uns Deutsche ist. Die Erinnerung ist nicht nur Trauer, sondern

eine moralische Verpflichtung gegenüber den Toten beider Weltkriege und zugleich eine Mahnung für die künftigen Generationen.

Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Vergangenheit, der

wir uns nicht entziehen dürfen !!!!!

 

Wir tun dies vor allem deshalb, damit die in den Stein gehauenen Namen

hier am Denkmal  in Bad Sülze, aber auch an all den anderen Gedenkstätten und auf den Gräbern nicht zu leeren Buchstaben erstarren, sondern ………..in unseren Köpfen und Herzen lebendig bleiben.

 

Die in den Gräbern ruhen wollen nicht, dass wir sie mit lauten Worten „Helden“ nennen. Sie haben für uns gekämpft und gelitten, sie sind für uns gestorben. Sie waren Menschen wie wir. Wenn wir in der Stille an den Kreuzen stehen, vernehmen wir ihre Stimme:

 

„Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe, Frieden zwischen den Menschen, Frieden zwischen allen Völkern“.

 

Wir dürfen heute nicht wegschauen, angesichts immer rechtsradikalerer

Gruppierungen und der Forderung doch endlich einen Schlussstrich zu ziehen und zu vergessen. Gerade heute ist es wichtig, sich zu erinnern, sensibel zu sein und Fragen zu stellen. Erinnerung und persönliche

Betroffenheit machen uns stark gegen menschenverachtende Ideologien.

Aus dem Blick auf unsere Geschichte wächst die Aufforderung an uns, alles zu tun, damit die schreckliche Vergangenheit sich nicht wiederholen kann. 

Nie wieder Krieg, nie wieder Terror, nie wieder Gewaltherrschaft. 

Auf Versöhnung, Verständnis und Frieden basiert unsere Zukunft.

 

Wir sind hier und heute zusammengekommen, um der Opfer von Krieg, Terror und Gewaltherrschaft zu gedenken. 

 

Vor einigen Tagen fiel mir der offene Brief von Yoko Ono wieder in die Hände, welchen sie 2006 zum 26. Jahrestages von John Lennon Tod veröffentlicht hatte. Dieser Brief ist heute aktueller denn je. Er ist überschrieben mit:

V E R G E B T    U N S

   # ich zitiere #

"Vergebt uns!

Der 8. Dezember ist wieder da. Jedes Jahr höre ich an diesem Tag von Menschen aus aller Welt, die an meinen Mann John Lennon erinnern und an seine Friedensbotschaft. Sie schreiben mir, um mir zu sagen, dass sie an diesem Tag an John denken und daran, wie er erschossen wurde in der Mitte seines Lebens, mit 40 Jahren, als er noch so viel vor sich hatte.

Ich danke für Eure nicht enden wollende Liebe für John und auch für Eure Sorge um mich an diesem tragischen Jahrestag. Doch während wir dieses Jahr am 8. Dezember John gedenken, möchte ich folgende Botschaften an die Millionen Menschen in aller Welt senden, die leiden müssen:

An die Menschen, die ebenfalls Angehörige völlig ohne Sinn verloren haben: Vergebt uns, dass wir es nicht geschafft haben, diese Tragödie zu verhindern. Wir beten darum, dass Eure Wunden heilen mögen. An die Soldaten aus allen Ländern und durch alle Jahrhunderte, die ihr Leben lang versehrt bleiben werden oder die ihr Leben verloren haben: Vergebt uns für unsere falschen Entscheidungen und was daraus geworden ist.

An die Zivilisten, die schwer verletzt wurden oder getötet oder die ihre Angehörigen verloren haben: Vergebt uns, dass wir dies nicht verhindern konnten. An die Menschen, die gefoltert und missbraucht wurden: Vergebt uns, dass wir dies zugelassen haben.

Wisst, dass Euer Verlust unser Verlust ist. Wisst, dass der physische und emotionale Missbrauch, den ihr erleiden musstet, noch lange die Welt und unsere Gesellschaft bestimmen wird. Wisst, dass die Last unsere ist.

Als Witwe eines Menschen, der durch einen Akt der Gewalt getötet wurde, weiß ich nicht, ob ich jemals bereit sein werde, demjenigen zu verzeihen, der den Abzug gezogen hat. Ich bin sicher, alle Opfer von Gewalt fühlen so wie ich. Aber die Welt braucht dringend Heilung.

Lasst uns die Wunden gemeinsam heilen. Lasst den 8. Dezember jedes Jahr zum Tag werden, an dem wir diejenigen um Vergebung bitten, die Unsagbares erleiden mussten.

Lasst uns darum bitten, dass wir eines Tages sagen können, wir haben uns selbst geheilt - und durch unsere Heilung heilen wir die Welt.

Mit großer Liebe,

Yoko Ono Lennon, New York City, 2006"

Ich möchte mich diesem offenen Brief persönlich anschließen und sagen: Lasst uns die Wunden die durch Krieg, Terror oder Gewaltherrschaft geschlagen wurden heilen, indem wir jedes Jahr an diesem Volkstrauertag an das Geschehene erinnern.

Danke